14 Apr Das Zimmerchen

Als wir letztes Jahr bei mir in der neuen Wohnung zum ersten Mal Weihnachten gefeiert haben, fühlten sich meine Mutter und mein Bruder wie in alten Zeiten. Irgendwie erinnerte sie meine neue Wohnung an die Wohnung meiner Kind- und Jugendzeit. Tatsächlich habe ich auch viele unserer alten aber zeitlos schönen Möbel wieder entdeckt und in meiner neuen Wohnung untergebracht. Die neuen Räume jetzt sind tatsächlich auch mindestens so weitläufig wie die früheren. Aber es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied zu den alten Zeiten, ich habe kein Zimmerchen mehr.

Platz ist in der kleinsten Hütte

Unser kleines Zimmerchen aus meiner Jugend war der angenehme Treffpunkt der Familie. Wenn hier alle zusammen kamen, dann waren wir im Frieden. Dann gab es keinen Grund zum Streiten. Hier wurde gelobt und gestreichelt, gemeinsam lecker gegessen und ferngesehen. Schimpfe und Strafpredigten gab es im Wohnzimmer, gearbeitet wurde im Herrenzimmer. Aber anders als der Name sagt, weniger von Herren als von meiner Mutter und mir noch bevor ich so etwas wie ein Herr war. Gelacht wurde dagegen im Zimmerchen.

Warum verzichte ich also ausgerechnet auf dieses Zimmerchen, wenn ich doch unbewusst schon alles andere aus alten Zeiten kopiert habe? Ist mir nicht mehr zum Lachen zumute? Will ich viel lieber schimpfen und arbeiten? Anfang des Jahres war das vielleicht so. Aber spätestens seit der Corona-Krise ist alles viel gelassener. Auch ich. Aber habe ich gewusst, dass das so kommt und habe deshalb auf das Zimmerchen verzichtet? Natürlich nicht. Kein Mensch hat diese Krise vorhergesehen und ich schon gar nicht. An Krankheiten denke ich nur sehr ungern. Es muss also eine andere Antwort auf all diese Fragen geben.

Arbeiten im Zimmerchen

Und die Antwort ist ganz einfach. Nein, auf das Zimmerchen habe ich gar nicht verzichtet. Es existiert nur nicht in meiner Wohnung. Es gibt dieses Zimmerchen in unserer Filmproduktion. Hier ist es aber gar nicht so neu. Hier gab es das auch schon früher. Unsere ehemalige Mitarbeiterin Vicki hat den kleineren der Schnitträume im Untergeschoss einst schön gemacht. Damit wurde sie schnell zu beliebtesten Mitarbeiterin. In dem engen Raum versammelten sich alle um sie, wenn es etwas zu begutachten gab, und alle lachten und hatten gute Laune.

Diesen Raum gibt es jetzt nicht mehr. Er ist inzwischen zum Sprecher-Raum geworden. Als solcher ist er sogar noch relativ groß. Denn Sprecherkabinen sind für gewöhnlich recht klein. Der zweite Schnittraum ist jetzt im Gartengeschoss. Und mit Zugang zum Garten war er auch angelegt. Aber in diesen Raum ist er nicht gezogen. Stattdessen ist er im kleinsten Raum unserer gesamten Produktion gelandet. Wenn wir hier zu viert Filme begutachten und Änderungen besprechen, dann ist es enger als in allen anderen Zimmerchen, die ich kenne. Hier wird gelobt und gelacht und es werden lauter schöne Filme geschnitten.

Abstand gewinnen

Aber der Weg zu einem schönen Film ist nicht immer nur angenehm. Oft kostet es sehr viel Gedankenarbeit und Geduld, aus dem Drehmaterial das Richtige auszuwählen und in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Mir ist dabei gelegentlich mehr zum Fluchen als zum Lachen zu Mute. Tja, was mache ich in diesem Falle? Einfach den Raum verlassen? Genau! Der große Raum neben dem kleinen Schnittraum ist unser Besprechungs- und Vorführraum mit direktem Bildschirmanschluss zum Schnittplatz. Ich kann also unbeliebte Sätze und arbeitsreiche Änderungen vom großen Nachbarraum aus dirigieren. So einfach ist das.

Und diese schnelle Lösung ist natürlich jetzt zu Corona-Zeiten unser großes Glück. Denn jetzt ist das Arbeiten im Zimmerchen für mehr als zwei Personen eh untersagt. Aber wenn Corona tatsächlich eines Tages der Vergangenheit angehört wie das Zimmerchen aus meinen aus meinen Kindheitstagen, dann werden wir die Nähe hoffentlich wieder genießen, um zu loben und zu lachen und unsere eigenen Werke fernzusehen.

Filme der Woche

In unseren Filmen der Woche zeigen wir unsere ehemalige Mitarbeiterin Vicki, die die besondere Zimmerchen-Atmosphäre bei GRAFF.FF eingeführt hat. Nordrhein-Westfalen, unser bevölkerungsreichstes Bundesland als Weite Welt in der es alles andere als eng zu geht. Dazu gibt es zwei Filme mit den Maltesern. Einmal ein Spendenaufruf zu Gunsten Wohnsitzloser in Düsseldorf, die es zur Corona-Zeit besonders schwer haben. Zum anderen ein Film mit den Mitarbeitern aus ganz Nordrhein-Westfalen für die alle der Leitspruch gilt, weil Nähe zählt. Und darauf zählen auch wir. Dass Nähe bald wieder problemlos möglich wird.