02 Aug Das Fräulein wurde abgeschafft

Es ist Sommer. Im klassischen Sommerloch kann man relevanten Content auch mal links liegen lassen und über Themen wie Tiere oder Wetter schreiben. Am Arbeitsplatz und im Produktionsfahrzeug laufen die Sommerhits der Saison: Coole, karibische Grooves und Sommerfeeling. Alles gut. Oder?  … Eigentlich nicht. Denn da stimmt was so gar nicht mit den Sommerhits. Das Phänomen ist nicht neu, aber deshalb auch nicht weniger nervig. Die Kölner Filmproduktion GRAFF.FF mit einem Kommentar zu Sommerhits, Chartsmusik und Videos.

Latina-Power

Wir berichteten euch vor kurzem, dass wir im Augenblick Mitarbeiterinnen aus dem lateinamerikanischen Raum haben. Catalina und Victoria sind herzliche Kolleginnen, die eine gute Arbeit machen und wissen, was sie tun. Es war uns auch wichtig, sie nicht auf ihre Herkunft zu reduzieren, sondern zu sagen, dass sie fachlich versierte Kolleginnen sind, die sich in mancher Hinsicht von uns unterscheiden, aber auf keinen Fall verniedlicht werden sollen. Ein studentischer Praktikant schrieb den Artikel und die korrigierende Redakteurin wies ihn noch mal eindrücklich darauf hin, dass die beiden keine beliebigen „Latinas“, sondern die eine eine studierte Fotografin und Filmemacherin und die andere eine angehende Medienwissenschaftlerin und Filmemacherin ist. Und dass es nicht angezeigt ist, sie anders zu präsentieren.

Quälender Ohrwurm

Die Medien zeigen uns nämlich ein anderes Bild. Eine Frau aus dem lateinamerikanischen Raum wird, unabhängig von ihrer Ausbildung, gesellschaftlichen Stellung und ihrem sonstigen Hintergrund, in unseren Medien, insbesondere in Musikvideos, als Sexobjekt präsentiert. Ausser schmachtenden Blicken aus dunklen, braunen Augen und rhythmischen Bewegungen mit schönen, gebräunten Körpern dürfen sie nicht viel zum Video beitragen. Das mag dem einen oder anderen reichen. Mir nicht. Denn einseitige, sexualisierte Darstellungen nerven. Nicht sonderlich gravierend, aber doch spürbar geht mir da Mr. Shawn Mendes auf den Keks, der mit „Senorita“ gemeinsam mit Camilla Cabello das wohl lahmste Musikvideo aller Zeiten produziert hat, zu einem Song, der sich als quälender Ohrwurm kaum wieder aus dem Bewußtsein entfernen lässt. In dem Song geht es um ein Pärchen, das bekennt, gern miteinander intim zu werden, auch wenn sie sich noch nicht sonderlich lange kennen. Das allein ist es nicht, was bei unsereiner leichten Brechreiz erzeugt.

Sexistische Kackscheiße

Es gibt unendlich viele Beispiele für sexistische Songs und Videos dazu. Pietro Lombardi treibt es anno 2019 mit seinem Ballermann-Hit „Bella Donna“ auf die Spitze, indem er die exotische Schönheit, die er  in seinem ansonst ziemlich blöden Video ständig befummelt, nicht einmal im Abspann nennt. Sie ist für ihn nur Kulisse. Das mag auf eine erfolgreiche Camilla Cabello nicht zutreffen, aber sehr viel profilierter stellt sich die Interpretin nicht dar. Ich meine: In der Trump-Ära, in der in den USA geborene PolitikerInnen in ihre vermeintlichen „Heimatländer“ zurück geschickt werden sollen, kann und sollte man als Frau mit Migrationshintergrund in den USA nicht die „tiny hands“ von Shawn, dem Schaf, Mendes an sich herabgleiten lassen, sondern sich selbstbewußt und stark präsentieren. Denn das sind Frauen, weltweit: stark.

Der Aufschrei, der auf sexistische Kackscheiße bei den Sommerhits folgen sollte, bleibt aber leider aus. Deshalb kann die Autorin dieses Beitrags nicht anders. Auch für ein ehemaliges Frolleinwunder ist so eine Darstellung kaum auszuhalten. Nebenbei ist es nicht nur sexistisch, sondern auch rassistisch und geradezu kolonialistisch, das Weltbild, das über diese Videos transportiert wird. Mit anderen Worten: Unerträglich.

Das deutsche Fräulein

Zitieren wir aus Goethes Faust:

Faust:
Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
Gretchen:
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.

Auch wenn wir hier ein wenig außerhalb des Zusammenhangs zitieren: Ein schöner Dialog. „Fräulein“ ist ehemals eine Bezeichnung für eine Frau aus höherem Stand gewesen – also keineswegs abwertend, ganz im Gegenteil. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde es die Bezeichnung für eine unverheiratete Frau, gleich welchen Alters. Spätestens seit den 1970 und 1980 Jahren ist diese diskriminierende Art der Anrede aber aus dem offiziellen Sprachgebrauch verschwunden. Das ist wunderbar, aber es war auch Arbeit für die Frauenbewegung dieser Zeit. Dieser Beitrag möchte diese Errungenschaft loben und in Erinnerung rufen. Das deutsche Fräulein wurde abgeschafft und eine erwachsene weibliche Person ist immer eine „Frau“. Wobei „Frau“ ursprünglich keineswegs das Pendant zu „Mann“ war, sondern ebenfalls eine Standesbezeichnung analog zu „Herr“ gewesen ist.

„Fräulein“ wird heute in Deutschland als diskriminierend empfunden, weil es keine männliche Entsprechung gibt.  In der spanischsprachigen Welt gilt „Senorita“ als höflich – auch wenn es da ebenfalls keine männliche Entsprechung gibt. Das müssen die spanischsprechenden Frauen letztlich selbst entscheiden, ob sie sich so verniedlichen lassen möchten – zumal von sexistischen, rassistischen, kolonialistisch eingestellten und privilegierten männlichen Vertretern aus den Industrienationen, die an Senoritas ihre ganz eigenen Interessen haben – sie möchten jedenfalls keine hochphilosophischen Diskussionen führen. Die teutonische Damenwelt kann es sehr empfehlen, das Diminutiv über Bord zu werfen. Es hat was, sich von Anfang an als ganze Frau zu sehen und auch so genannt zu werden.

Filme der Woche

Als schönes Beispiel für die Kraft der Frau haben wir diesmal einen Film über das Werk der Künstlerin Petra Johanna Barfs, die Frauenpower u.a. mit einer Metapher darstellt. Dazu gibt’s ein Video darüber, welches der beiden Geschlechter sich auf der Baustelle geschickter anstellt. Eine Erinnerung, dass man manchmal darauf achten sollte, wirklich unter sich zu sein, bietet unser Strandfilm. Und zum Schluss noch ein Beweis, dass Sexismus oft auch andersherum laufen kann. Viel Spaß mit den Filmen der Woche!