08 Jun Ohne Vogel

Unsere Elster Else

Ohne Vogel fehlt einem was

Ohne Vogel lebt es sich leichter. Wir freuen uns trotzdem nicht, dass Elster Else nicht mehr da ist. Denn drei Wochen lang hatten wir unser Herz an sie gehängt. Aber sie war frei und flog davon – wahrscheinlich zu früh und auch nicht ganz freiwillig. Verhindern konnten wir das nicht – und, wie wir später herausfanden, durften wir das auch nicht. Einen wilden Vogel darf man in Deutschland nicht ohne Genehmigung in Gefangenschaft halten. Das hatten wir auch nicht vor. Aber wir hatten doch Ideen von einer Zukunft mit Vogel. Mit einem freien Vogel.

Else‘s Geschichte mit uns Menschen

Es war vor vier Wochen, als ich das Elsterkind im Garten der Filmproduktion fand und unter Augen der Praktikantinnen vor dem Kater Fritzi rettete. Der hatte einen mäßigen Tag und verspeiste die Elster nicht sofort komplett sondern klebte ihr nur ab zu eine. Ich steckte sie in einen Karton. Ich nahm sie mit nach Hause und tags drauf wieder ins Büro – ich war nicht sicher, ob sie überlebt. Aber wenn sie überlebt, dann nur, wenn ich sie stetig füttere. Es klappte. Norleon chauffierte mich mit Vogel zum Wochenende nach Hause und der Füttermarathon begann. Else ´s Geschichte mit uns Menschen war quantitativ eine Geschichte mit Rührei, Heimchen, Mehlwürmern, Müsli, Hühnerherzen und Tartar, wir froren ein, kochten ab und fütterten von 6-22 Uhr im 30-Minutentakt. Zwischendurch immer Vogelbeobachtungen im Käfig: Was macht sie da? Sie mauserte. Zupfte sich an den Federn, beharrlich. Und wuchs.

Was reinkommt, muss raus

Sie machte zuerst  schmerzhaft aussehende Spagate auf glatten Böden. Dann änderten wir die Bodenbeläge, sie lernte ihre Beine zu beherrschen und laufen. Wir fütterten und schauten zu. Else aß. Und Else kackte. Was reinkommt, muss raus. Natürlich überwachten wir jederzeit, ob das Ergebnis unserer Fütterungen einen guten Eindruck machte. Und räumten das weg, wie echte Elstereltern. Else war fröhlich. Sie mochte uns schon nach kurzer Zeit und vertraute uns. Bei Flugübungen steuerte sie uns an.  Wir beschützten sie vor den Katzen und hoben sie hoch.  Das war nicht gut, denn wir begannen uns aufeinander zu fixieren. Wir fingen an, das Tier zu lieben.

Entdecken und entdeckt werden

Wir kauften eine angemessen gr0ße Voliere, in der man herumspazieren, Leitern hochsteigen und auf Äste hüpfen oder fliegen kann. Die stand draußen, damit Else sich sonnen kann. Das ist wichtig für einen jungen Vogel. Zuerst war Else sehr bodennah. Dann entdeckte sie das Astwerk für sich. Und dann wurde sie entdeckt. Die Elstern im Revier waren nicht einverstanden mit dem Neuzugang und sie begannen den Käfig zu attackieren.  Wir haben das leider nicht gecheckt – schlecht informiert oder so.  Im Internet gibt es jede Menge Userforen und eine sehr gute Seite wildvogelhilfe.org, die wir ständig nach relevanten Informationen durchsucht haben. Irgendwann fanden wir über diesen Weg heraus, dass wir etwas Illegales tun.

Illegale Aufzucht einer Elster: Unlogisch

Die Elster hat keine Lobby. Es zu verbieten, ein nicht geschütztes Tier, dass dazu mit der Intelligenz eines Primaten ausgestattet ist, aufzuziehen, ist brutal für Mensch und Elster. Zufällig las ich „Das geheime Netzwerk der Natur“ von Peter Wohlleben parallel zum Füttern und Beobachten meiner Elster. (Bitte schaut euch die Links zu Peter Wohlleben am Ende des Beitrags an, sehr zu empfehlen!) Darin kam ich kurz vor: Peter Wohlleben ist der Meinung, dass es mehr nützt als schadet, wenn ich mich eines Tieres annehme. Es lebe die Empathie. Ich kann jetzt Elstern sehen und verstehen. Ich habe eine andere Wertschätzung und ein völlig neues Verständnis unserer gesamten (nicht nur fliegenden) Fauna erlangt. Es ist unlogisch, dass ich diese Erfahrung eigentlich nicht hätte machen dürfen.

Zumal sie scheiterte. Die Revier-Elstern vertrieben meine Elster. Das war am 20. Tag. Wir waren längst erschöpft und fragten uns, wie wir das noch managen sollen – wir müssen ja auch mal arbeiten. Else wurde attackiert, wenn wir nicht da waren. Am Freitag vor zwei Wochen blutete sie aus ihrem Fuß. Dabei war sie nur kurz allein gelassen worden.  Wir versorgten sie und stellten den Käfig in eine halboffene Scheune. Aus der ist Else dann entwischt und kam noch einmal für eine Nacht zurück, die sie im Freien verbringen wollte. Am nächsten Morgen wurde sie verjagt. Sie wurde am Dienstag vor einer Woche zum letzten Mal gesehen. Das wars mit Else.

Analogien zwischen Menschen und Elstern

Was meint ihr, wie traurig wir waren? Wir hatten uns vergebens bemüht. Wir haben eben nicht mit allen Variablen gerechnet und die anderen Elstern nicht auf dem Schirm. Die waren aggressiv. Else aber auch. Wahrscheinlich verletzte sie sich selbst durch entschlossene Defensive. Sich selbst so zu verletzen und in Gefahr zu bringen, da sehe ich Analogien zwischen Elstern und Menschen. Insgesamt sind auch wir unbestreitbar  aggressiv und gefährlich. Trotzdem sind wir auch unschuldig, beherzt und liebenswert. Elstern sind sozial, intelligent und dankbar. Elstereltern leisten enorm viel für ihren Nachwuchs, so wie alle Vögel. Leider haben sie immer schlechtere Lebensbedingungen, denn es gibt immer weniger Beute. Kleine Vögel sind seltener, Insekten auch – da passiert einiges, was ein ungutes Gefühl macht. Das rapide Artensterben in Deutschland bekommt einen bedrohlichen Charakter. Auch dafür ist mein Blick jetzt viel geschärfter.

Filme der Woche und Aussichten

Das Buch von Peter Wohlleben, das ich in dem Beitrag (ungesponsert) erwähnte, „Das geheime Netzwerk der Natur“  kann für ein Wochenende wirklich unterhalten und ist eine gute Investition. Hört euch den WDR 5 Podcast von der Lit Cologne 2017 zur Einstimmung an und erwerbt das Buch dann bei eurem lokalen Buchhandel!

Die Filme der Woche drehen sich in dieser Aufgabe um das Thema „Lektionen“. Da wir mit Else durch die Schule des Lebens gegangen sind, passt das gut. Zuerst sehen wir Schüler, die nicht gelernt haben und versuchen, die Zeit anzuhalten. Darsteller Aaron müsste lernen, dass Sarah ihn nicht so gut findet, aber die lernt sein unerschütterliches Selbstbewusstsein kennen. Anna muss lernen, was „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ bedeutet – das Leben kann manchmal grausam sein. Und zum Schluss lernt die Autorin im beschaulichen Gut Oberscheid, dass es für große Klappe eins auf den Deckel gibt.

Zur Erinnerung an unsere Else gibt’s für alle Elster-Fans noch mal den Film.