01 Jun „Bestens integriert“ – über Alltagsrassismus und Erkenntnisgewinn

Deutschland, deine Integrationsdebatte

Diese Woche verabschieden wir uns wieder von einer Mitarbeiterin unserer Filmpoduktion, die ein freiwilliges Praktikum bei uns absolviert hat. Wie so oft fällt der Abschied schwer und wir fühlen einen echten Verlust. Wir sind jedoch auch gleichzeitig bereichert durch die gemeinsame Zeit und das ist ein nachhaltig gutes Gefühl. Die offene Begegnung mit Menschen bringt immer einen Erkenntnisgewinn. Manchmal bleiben dann Fragezeichen zurück, es gibt nicht immer Zustimmung, und manchmal öffnet sich ein ganz neuer Horizont über den gewohnten Tellerrand hinaus. Manchmal sind Menschen und Geschichten schwierig zu verstehen und Missverständnisse stehen im Weg. Da hilft meist Geduld, Empathie und die Bereitschaft zu Akzeptanz.

Graff FF International – aber stopp!

So international besetzt sind wir bei Graff FF nicht oft, das werdet ihr in unseren neuen Eigenproduktionen sehen. 2018 hatten wir Mitarbeiterinnen aus Kolumbien, Georgien, Russland, Afrika und Asien – aber stopp! Korrektur:– die Praktikantin mit dem asiatischen Hintergrund war ausschließlich in Besitz eines deutschen Passes, war hier geboren und hat mit dem Herkunftsland ihrer Eltern vielleicht ungefähr so viel am Hut wie ich mit der schlesischen Herkunft meiner Oma. Das gilt auch für die Mitarbeiterin aus dem kleinen Staat am Horn von Afrika, von der wir diese Woche schweren Herzens Abschied nehmen. Sie erblickte das Licht der Welt noch auf dem schwarzen Kontinent, wuchs aber seit dem Kindergartenalter in Deutschland auf. Sie ist, wie man so schön sagt, „bestens integriert“. Ich setze das in Anführungsstriche, weil es zynisch ist. Für jemanden wie sie, der den überwiegenden Teil seines Lebens Deutschland „Heimat“ nennt, ist diese Integrationsdebatte, die wir derzeit führen, eher ärgerlich. Denn: Integration wird von „uns Deutschen“ in Form einer Einbahnstraße inszeniert. Und die endet lustigerweise in einer Sackgasse, dort, wo auch unsere Willkommenskultur endet.

Geschlossene Gesellschaft

Das Problem liegt in der optischen Unterschiedlichkeit unserer Mitmenschen, dass wir sie in die Ecken „Afrika“ und „Asien“ stecken, obwohl sie alle den Stempel „Deutsch“ erhalten haben. Wir bleichgesichtigen Biodeutschen erkennen den Unterschied auf den ersten Blick und wagen den zweiten erst gar nicht, der das Gemeinsame erkennt. Das macht uns so integrationsfreudig wie eine geschlossene Gesellschaft, die einen hungrigen Wanderer nicht ans Buffet lässt. Wir sind meistens wenig mitfühlend in unseren Kategorien. Und wenig offen. So fühlt es sich denn für Menschen schwarzer Hautfarbe in unserer Gesellschaft oft nicht kuschelig an.

Die sogenannten Sogenannten

Die sogenannten Afrodeutschen leben von Kindheit an mit sogenannten Alltagsrassismen, die sich gut mit einem derzeit gängigen Thema veranschaulichen lassen: Ähnlich diskriminierend wie alltäglich wie der in der #metoo – Debatte diskutierte Sexismus ist auch der Alltagsrassismus ein schwer zu verstehendes Ding, wenn man auf der Seite der TäterInnen steht. Aber stopp! Opfer – Täter: Das gefällt mir nicht. Spätestens seit ich in der „Zeit“ las, dass sich mittlerweile jeder als Opfer fühlt. Auch die Männer in der #metoo Debatte, sie sind nun Opfer des „Antisexismus“ !  (Klingt nach Satire, ist aber wahr.) Lassen wir also diesen wirklich sehr grob kategorisierenden „Opfer-Täter“- Sprech, denn Alltagsrassimus ist kein Straftatbestand sonder einfach eine Taktlosigkeit. Afrodeutsche brauchen zudem kein Opfer-Prädikat. Als Mitglieder unserer Gesellschaft, Menschen, die unsere Sprache sprechen und Deutschland ihre Heimat nennen, möchten sie einfach nur undiskriminiert mit uns zusammenleben. Und das könnte ja so einfach sein, hätten wir nicht alle ein merkwürdiges Brett vor dem Kopf, das Empathie verhindert.

Grenzenlos und unverschämt

„ich werde trotzdem afrikanisch sein auch wenn ihr mich gerne deutsch haben wollt und werde trotzdem deutsch sein auch wenn euch meine schwärze nicht paßt […] Wann ich will und wie ich will, grenzenlos und unverschämt“ – ich zitiere hier frei aus einem Gedicht der 1996 verstorbenen May Ayim. Ayim hat mit ihrer Poesie in den 1990ger Jahren einen Finger auf eine offene Wunde gelegt. In Jahren, als in Deutschland der Rechtsextremismus nach der Wende erstarkte und Häuser und Flüchtlingsheime brannten. Sie wurde von Audre Lorde beeinflusst, die schwarze, deutsche Frauen ermutigte zu publizieren und auf sich aufmerksam zu machen. Lorde hatte erkannt, dass Deutsche mit schwarzer Hautfarbe, mit welchem Background auch immer, von unserer Gesellschaft eingeschüchtert und isoliert wurden.

Das galt und gilt natürlich insbesondere für die afrodeutschen Frauen. Die Schriften der jungen Afrodeutschen bringen daher die Wut darüber zum Ausdruck, wie die Gesellschaft mit ihnen umging und umgeht.  Bis heute, denn wir diskutieren nach Jahrzehnten immer noch, wie wir Schaumküsse nennen „dürfen“ (wie wärs mit Schaumküsse!) oder wir Lindgrens „Pipi Langstrumpf“ ändern „können“ (Ja, können wir!). Audre Lord forderte uns dazu auf, die Bedeutung unserer weißen Privilegien zu erkennen und mit Unterschiedlichkeiten konstruktiv umzugehen.

Die Verfasserin versucht das mit diesem Beitrag. Und möchte klarstellen: Ich maße mir nicht an, den vollen Umfang des „Problems“ ansatzweise begriffen zu haben. Aber ich bin definitiv Sympathisantin einer Afro – Deutschen Bewegung, in der sich Menschen für gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz stark machen und sich gegenseitig ermutigen. Emanzipation nennt man das. Ein schwieriges Wort. Für Menschen mit wirklich fest verschraubten Stirnhölzern und kuscheligen Privilegien ein schlimmes Wort. Genau diese Leute sind ein Kernproblem beim Thema „Integration“, wenn es darum geht, unveränderliche Unterschiede anzuerkennen.

Filme der Woche

In unseren Filmen der Woche zeigen wir euch Werke unserer internationalen und sehr bunten Crew aus dem Wonnemonat Mai.

Zunächst das Video mit Celine, Youssef und Sophia: Hier geht’s um klassische Mißverständnisse, Übergriffigkeiten und Kuchen. Der Clip „Mädchen weich vom Wege nicht“ thematisiert mit internationaler Besetzung auf subtile Weise gleich mehre Konflikte. Ein alter Text von Charles Perrault (1628 – 1703) bringt auf den Punkt, was unsere #metoo Debatte auch umkreist, ohne eine konstruktive Lösung, zugegeben. Wie es so kommt, gehen die Mädchen nicht auf dem Weg, sondern einfach über die Wiese. Es ist zugegebenermaßen überraschend, in der unschuldigen, bergischen Idylle über einen Mann südländischen Typs zu stolpern – aber der konnte nun wirklich nichts dafür.

Für das Musikvideo von Catalina Guzman und Eritrea Berhane, das auf einem Treffen der Afro-Deutschen Bewegung im Mai 2018 in Köln entstand, fehlt leider eine Freigabe. Daher sehen die Filme der Woche leider etwas unvollständig aus. Mit Musik von Melane Nkounkolo, einer Kölner Jazz- und World Music Performerin, Aktivistin und Künstlerin. Alle Rechte bei Nkounkolo, Berhane und Guzman. Das Video entstand in Initiative und in Eigenregie von Berhane und Guzman. Leider ist dieses Video nur über Youtube zu erreichen.

Last but not least eine weitere Fremdproduktion von Alina Graff für die Kölner „Arsch huh“ Initiative, in der beispielhaft Unterschiede auf folkloristische Weise überbetont werden. Alle Rechte bei Alina Graff und Arsch Huh! Der Film und auch die Initiative sind würdig, hier mehrmals pro Jahr platziert zu werden. Bitte unterstützt „Arsch huh!“!

Diesen Blogbeitrag und die Filme der Woche widmen wir auch dem bayrischen Wonderboy Markus Söder für seinen heute initiierten Anti-Integrationsvorstoß, die „Kreuzpflicht“. Herr Söder, sollten Sie das lesen, denken Sie immer an die weisen Worte des Meister Yoda: „Furcht ist der Pfad zur dunklen Seite. Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unsäglichem Leid.“ Amen