29 Apr Der 1. Mai

1. Mai Bevor ich ins Rheinland zog, war ein Maibaum für mich ein großer Mast, an dessen Ende ein bunt geschmückter Kranz hängt. Ich stellte mir immer vor, wie die Dorfbewohner, die diese Masten aufstellen, in mystischem Zwielicht in einem Reigen um den Maibaum tanzten, ein bisschen wie Hexen um ein Feuer, oder Verdi um eine 6-prozentige Gehaltserhöhung. Als ich dann am 1. Mai 2013 morgens das Haus verließ, war plötzlich alles voll mit Bäumen und buntem Kreppband. Ich war verwirrt. Was ist das? Was soll das? Wo kommen diese ganzen Bäume her? Und warum gibt es keinen mit MEINEM Namen drauf?! Sogar der türkische Supermarkt von gegenüber und die Kneipe an der Ecke hatten Maibäume mit roten Herzen bekommen.

Das Maibrauchtum: Von Bollerwagen voller Alkohol bis zum größten Maibaum der Region

Heute, 3 Jahre später, weiß ich Dank Internet und rheinländischen Freunden natürlich alles, was man über den 1. Mai und das Brauchtum im Rheinland wissen muss. Ich weiß, dass Männer hierzulande ihren Liebsten zum 1. Mai einen Maibaumstellen, und dass im Schaltjahr die Frauen dran sind. Der Maibaum ist aber nur ein Teil der Traditionen um den Maibeginn. Der Tanz in den Mai, zum Beispiel, geht auf die Walpurgisnacht, also die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai zurück. Dabei feiern wir den Beginn der warmen Jahreszeit. In Norddeutschland geht man an diesem Tag üblicher Weise wandern und trinkt dabei jede Menge Alkohol, den man in einem Bollerwagen hinter sich her zieht. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass meine ursprüngliche Vorstellung von einem Maibaum gar nicht so weit hergeholt ist. In vielen Teilen Deutschlands werden in den kleineren Gemeinden eben solche bunt behangenen Masten aufgestellt. Dabei treten die Gemeinden in einen Wettstreit, frei nach dem Motto „wer hat den größten und welcher ist der schönste im ganzen Land?“ In Bayern ist es sogar Teil des Brauches, den rivalisierenden Gemeinden den Maibaum zu stehlen. Die Bestohlenen können ihren Baum dann gegen Bier aus seiner Geiselhaft befreien.

Am 1. Mai ist frei. Aber warum?

Aber ist die Verteidigung eines Maibaums allein der Grund, warum wir an diesem Tag nicht arbeiten müssen? Der 1. Mai ist als Tag der Arbeit ein gesetzlicher Feiertag in Deutschland. Dass wir nicht zur Arbeit oder zur Schule müssen, hat nichts mit dem Stellen und Verteidigen von Maibäumen zu tun, ist aber natürlich praktisch. Wer sich vor Amerikanisierung fürchtet, sollte die folgenden Zeilen besser Überspringen, denn dass der 1. Mai als Tag der Arbeit gefeiert wird, geht auf Aufstände der Arbeiterklasse in den USA zurück. Dort forderten die Arbeiter nämlich in den 1860ern, also nach dem Bürgerkrieg, eine Verkürzung des Arbeitstags. Als in den folgenden zwanzig Jahren nicht viel Besserung für die Arbeiter eintrat, riefen die Amerikanischen Gewerkschaften zu einem Generalstreik am 1. Mai 1886 auf. Der 1. Mai wurde deshalb als Startdatum für diesen Streikt gewählt, da dieser Tag in den USA als sogenannter „Moving Day“ galt. Ein Tag, an dem Arbeitsverträge endeten, neu eingegangen wurden und Arbeiter umzogen, um ihre neue Arbeit antreten zu können. Trotz landesweiter Streiks dauerte es aber noch weitere zwei Jahre, bis die Amerikaner ihren Acht-Stunden-Tag bekamen. Diese Arbeiterbewegung schlug Wellen, und zwar bis nach Frankreich und Deutschland.

Die Geschichte des 1. Mais in Deutschland ist lang und voller Windungen. Er hat in Deutschland für viele verschiedene Zwecke herhalten müssen. Im Deutschen Kaiserreich wurden am 1. Mai 1890 Proteste gegen die Arbeitszeiten in Form von Maispaziergängen veranstaltet – obwohl die meisten Arbeitgeber mit Entlassungen und Schwarzen Listen gedroht hatten. Im folgenden Oktober führte die SPD den 1. Mai als „Feiertag der Arbeiter“ ein. Am 1. Mai 1929 eskalierte dann eine Demonstration in Berlin, die trotz eines Demonstrationsverbot wegen befürchteter Unruhen stattgefunden hatte. Dabei wurden 28 Menschen getötet. Diese Ereignisse gingen unter dem Namen „Blutmai“ in die Geschichte ein. Unter Hitler wurde der 1. Mai 1933 zum „Tag der nationalen Arbeit“ und diese war auch dringend nötig, denn der New Yorker Börsencrash vom Oktober 1929 hatte der deutschen Wirtschaft stark zugesetzt: Bis 1932 stieg die Arbeitslosenquote auf 33 Prozent. Bis 1945 wurde der 1. Mai aber auch von oppositionellen Vereinigungen als Rahmen für Proteste gegen das Hitlerregime genutzt. Auch nach Hitler wurde der 1. Mai als Feiertag aufrecht erhalten, und zwar vom alliierten Kontrollrat. Schon ziemlich viele Infos, oder? Glaubt mir, das ganze wurde noch mal komplizierter, als Deutschland geteilt und dann wiedervereint wurde. Aber das erspare ich euch. Im Kern ist der 1. Mai als Tag der Arbeit über die Jahrzehnte erhalten geblieben: Er bietet der arbeitenden oder arbeitswilligen Bevölkerung ein Forum und ein breites Publikum für ihre Forderungen.

Man kann den 1. Mai also als Feiertag, als Kampftag oder als Tag des Bäume Herumschleppens begehen. Wer kreativ werden will, kann seinen Maibaum auch auf einen Protestmarsch mitnehmen. Da der erste Mai auf so vielen Ebenen von Bedeutung ist, wird er uns vermutlich noch lange erhalten bleiben. Übrigens fällt in die erste Maiwoche auch der Vatertag. Wenn ihr euch also ’nen Maibaum für euren Angebeteten besorgt, darüber aber vergessen habt, dass ihr auch noch eine Kleinigkeit für euren Vater braucht, dann sind unsere Videopostkarten zum Thema der Woche genau das Richtige für euch!