22 Apr Sprüche und Lebensweisheiten

LebensweisheitenDu stehst vor dem Aus. Dein Boss hat dich gefeuert, dein Partner ist abgehauen, dann ist dir auf dem Rückweg vom Einkauf der Henkel deiner Tragetasche gerissen (das war’s mit dem Trostbier) und jetzt macht dein Lieblings-Pizzabäcker ausgerechnet heute, an dem Tag, an dem du seine Pizza so sehr gebraucht hättest, Urlaub. Du weißt nicht mehr weiter. Was nun? Du rufst deinen Bruder an, oder deine beste Freundin, vielleicht auch deine Mutter, denn du brauchst irgendwen, der dir einfach irgendwas sagt, damit du nicht versinkst in den Ereignissen der letzten Tage. Mit zitternden Händen umklammerst du das Telefon, vielleicht weinst du, vielleicht auch nicht. Und dann sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung: „Ach Mäuseken, auf jeden Regen folgt auch wieder Sonnenschein.“ Ehm, hallo?! Dein Leben liegt in Trümmern und jemand kommt dir mit dem Spruch, den du schon gehört hast, als dein Hausfrosch Helmut gestorben ist?

Wir meinen es doch nur gut!

Sprüche und Lebensweisheiten sind im Kern vielleicht gut gemeint, zeugen aber eigentlich nur davon, dass unser Gegenüber nicht weiß, was es sagen soll, oder vielleicht sogar unsere Situation nicht versteht. Das gilt nicht nur für Zeiten, in denen es uns schlecht geht, sondern auch für die schönen Momente im Leben. Auch in unseren Alltag gibt es Sprüche, die wir einfach nicht mehr hören können. „Mama, mir ist langweilig“ und „die Renten sind sicher“, um nur zwei Beispiele anzuführen. Manchmal kommen diese Sprüche auch von uns selbst. Wir sagen sie so oft, oder müssen sie so oft sagen, dass wir uns damit selbst auf die Nerven gehen: „Oh cool, das ist sogar vegan!“, oder „hast du deinen Schlüssel?“, aber das ist eine andere Geschichte. In diesem Blogbeitrag haben wir die Top 3 der Sprüche und Lebensweisheiten zusammengetragen, die, wenn es nach uns ginge, zusammen mit Ausdrücken wie „YOLO“, „zum Bleistift“ oder „voll behindert“ in einem Wörtermassengrab verschwinden sollten.

No. 1: „Man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist.“

Nein. Nein. Einfach nein. Wir wollen NICHT aufhören, wenn’s am schönsten ist. Es ist oft genug unschön, was man so täglich mitbekommt, oder selbst erfahren muss. Wenn dann mal etwas schön ist, dann wollen wir nicht mittendrin aufhören. Erstens weiß man ja nicht, ob es noch besser wird. Zweitens kann es nach dem schönsten Moment ja immer noch schön genug sein. Abgesehen davon lässt sich dieser Spruch überhaupt nicht sinnvoll anwenden: Man schiebt die Lasagne nicht zur Seite, wenn man genüsslich die Käsekruste verzehrt hat.Man lässt sich auch nicht nach der Hochzeitsreise scheiden. Und man legt sich nicht schonmal in seinen Sarg, wenn man die ersten Fältchen bemerkt.

No. 2: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“

Na gut, wir verstehen den Ansatz dieses Sprichworts. Allerdings gibt es auch den Spruch „die Letzten werden die Ersten sein.“ Was denn nun? Worauf auch immer das „früh“ sich bezieht (früh aufstehen, pünktlich sein, wichtige Dinge nicht aufzuschieben), der Erste, die Schnellste, oder die Person mit der besten Vorbereitung zu sein ist nur in wenigen Situationen das ausschlaggebende Kriterium. Manchmal ist es sogar umgekehrt: Improvisation überzeugt, denn das Leben hält unzählige Herausforderungen bereit, auf die wir uns nicht vorbereiten können.

No. 3: „Wenn dir das Leben Zitronen gibt, …“

Ich will es gar nicht erst ausschreiben, ihr wisst ja eh was kommt. Diese Weisheit sagt mir also, dass ich mir in schweren Zeiten die Welt einfach schön saufen soll? Ab und zu muss das sein, aber das zu seinem Lebensmotto zu machen ist ungefähr so, als würde ich jemandem, der gerade eine nahestehende Person verloren hat vorsingen: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei!“

Ganz kommen wir natürlich nicht um Weisheiten und Sprüche herum, um Phrasen, Floskeln und abgenutzte Metaphern sowieso nicht. Auch dieser Text enthält einige davon. Aber man kann das Rad ja auch nicht immer neu erfinden (ihr merkt, was ich meine?). Es wäre verschwendete Energie, in jedem Gespräch, oder jedes Mal, wenn wir einen Text verfassen, zu versuchen alles neu und frisch und ganz anders zu machen, denn bestimmte sprachliche Konventionen erleichtern das Verständnis und helfen dem Fluss des Textes. Aber das Sprüche-Arsenal erweitert sich stetig. Man kann also auch mal selbst kreativ werden (und seine Spruchneuschöpfung mit Videopostkarten.de verschicken). Obama’s „yes, we can!“, hallt mir immer noch in den Ohren, wann immer jemand aus meinem Freundeskreis anzweifelt, dass wir das letzte Stück Kuchen auch noch schaffen. Und meine erste Uni-Bekanntschaft wird mir schon allein deshalb auf ewig in Erinnerung bleiben, weil er meine Begeisterung für Ausflugsziele und Unternehmungsmöglichkeiten im Rheinland immer mit den Worten „joar, kann man mal machen“ kommentierte.

Unsere Lebensweisheiten: Finger weg von Floskeln oder vielleicht mal gar nichts sagen!

Aber zurück zu den Lebensweisheiten und Sprüchen, die man nicht mehr hören möchte. Warum haben wir bestimmte Aussagen einfach über? Warum fühlen wir uns manchmal sogar gekränkt, wenn jemand auf unsere Story mit abgegriffenen Worthülsen reagiert? Es ist ganz simpel: Eine abgedroschene Floskel zu hören, sei es nun zu einem fröhlichen oder einem traurigen Anlass, wertet das eigene Erleben ab. Das, was man gerade erlebt, haben schon hunderttausende vor einem erlebt. Deshalb gibt es diese Sprüche ja überhaupt. Wir fühlen uns nicht mehr einzigartig, unsere Probleme scheinen nicht wichtig, wenn sie mit einer Weisheit oder einem zu oft gehörten Spruch bedacht werden. Um fair zu sein muss man sagen, dass so ein Spruch manchmal auch ins Schwarze trifft. Manchmal helfen uns erprobte Weisheiten und Sprüche, genau den Blickwinkel zu finden, den wir brauchen, oder er gibt exakt das wieder, was man gerade hören will. Aber das ist so selten der Fall, dass man von Sprüchen und angestaubten Lebensweisheiten lieber die Finger lassen sollte.