04 Mrz Abwarten und Tee trinken

Unser Mittel gegeabwartenundteetrinkenn chronischen Zeitdruck

Wir haben To-Do-Lists, Deadlines, Anschlusszüge und Anschlussflüge, leiden unter chronischem Zeitdruck und wollen bei allem die Ersten und Besten sein. Aber es geht nicht immer nur vorwärts. Es gibt Situationen, da liegt es nicht in unserer Macht, ob wir die Ersten sein können, ob wir überhaupt irgendwo dabei sein können, oder ob wir die Kontrolle über das Geschehen übernehmen dürfen. Manchmal müssen wir einfach abwarten und Tee trinken, wie bei unseren Filmen der Woche bei den Videopostkarten.

So sehr wir uns manchmal wünschen mehr Zeit zu haben, eigentlich können wir es doch auch nicht ertragen einfach mal nichts zu tun. Und mit Nichtstun ist hier das Nichtstun in seiner reinsten Form gemeint, nicht das Nichtstun, während man ein Kippchen raucht, oder vorm Fernseher sitzt, oder spätabends durch die malerische Idylle Köln flaniert. Wir meinen hier wirklich die Art von Nichtstun, bei der man plötzlich ganz allein mit seinen Gedanken ist.

Aber warum denn jetzt eigentlich Tee?

Kommt daher vielleicht der Tee? Tee trinken, um beim Abwarten nicht absolut nichts zu tun zu haben? Nein, laut verlässlichen Quellen aus dem Neuland Internet stammt das Sprichwort aus dem Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts. Damals trafen sich Frauen aus den oberen Gesellschaftsschichten zu Lesenachmittagen, an denen eben auch Tee serviert wurde. Da aber zum Tee meistens auch reichlich Zucker und Rum gereicht wurden, benahmen sich die feinen Damen schon bald nicht mehr allzu fein (daher übrigens auch die Ausdruck „einen im Tee haben“).

Wer schon einmal ordentlich „einen im Tee“ hatte, der weiß, dass die Diskussionsfähigkeit in diesem Zustand stark zurückgeht, rein objektiv zumindest. Damit also aus den Literaturgesprächen nicht zu schnell ein paar fröhliche Runden Niveaulimbo wurden, fing man an, den Rum erst gegen Abend zum Tee dazu zu reichen. Bis dahin blieb den durstigen Frauen dann nur eins: Abwarten und Tee trinken.

So macht Abwarten und Tee trinken Spaß: Von Apfelkuchenaroma bis Zimtblütensud

Tee wird schon seit Jahrtausenden von vielen Nationen zu Heilzwecken eingesetzt. Mittlerweile hat sich aber eine regelrechte Genusskultur um das Heißgetränk entwickelt. Es gibt nicht nur jede Menge absurde Geschmacksrichtungen, sondern auch eine komplette Wissenschaft um die Form der Tasse, das Material des Kännchens und die optimale Ziehzeit. Da wird das Abwarten doch gleich viel interessanter.

Aber jetzt mal genug mit dem Gerede um den heißen Tee. Wenn uns jemand sagt, wir müssten halt einfach Abwarten und Tee trinken, dann empfinden wir das meistens als etwas negatives. Das schadet nicht nur dem guten Ruf des Tees, sondern auch unserem Selbstverständnis. Wenn wir nur abwarten können, dann glauben wir uns machtlos und abhängig. Wir haben keine Kontrolle über das Geschehen. Die hätten wir aber gerne in unserer individualistischen Kultur. Autonomie ist super, aber man ist ihrer wohl nur würdig, wenn man auch erkennt, wann etwas nicht mehr in den eigenen Händen liegt. Und eigentlich könnten wir den Moment, in dem etwas nicht mehr in unserer Verantwortung liegt, doch genießen, oder? Eine Sache weniger, um die wir uns Sorgen machen müssen. Mit so einer Einstellung schmeckt dann auch der Tee noch ein bisschen besser.